Queer und evangelisch: „Die Liebe muss gewinnen.“ Zwei Männer und ihre kirchliche Hochzeit auf dem Dorf
Benedikt und Jens begrüßen mich im Innenhof ihres alten Bauernhofes, den sie sich vor einigen Jahren gemeinsam gekauft haben. Der Traum vom Landleben in Perfektion. Kletterrosen leuchten vor Backstein in der Sonne, dahinter der liebevoll angelegte Gemüsegarten, im Hintergrund gackern leise die Hühner und unter dem Tisch liegt während des Interviews brav der Hund. Das hier ist der Ort, an dem die beiden offiziell kirchlich geheiratet haben, mit rund 200 Gästen. „Wir haben den Hof geöffnet. Wir haben Nachbarn eingeladen, obwohl wir hier noch keinen kannten, und haben alle willkommen geheißen, Arbeitskollegen, Freunde, Familie. Also richtig groß aufgezogen, weil wir gesagt haben, wir machen das nur einmal im Leben, hoffentlich. Und dann machen wir das richtig groß.“ Das klingt nach einem Regenbogenparadies – aber schließt der Traum vom Landleben auch im Jahr 2022 wirklich umfassende Toleranz für gleichgeschlechtliche Partnerschaften ein?
Bist du schwul? Ja klar. Und jetzt?
Jens erzählt von seinen Erfahrungen mit Diskriminierung: „Selbst in Köln gab es immer irgendwelche doofen Sprüche, wenn wir zusammen unterwegs waren. Das ging von kleinen Sprüchen oder Spucken auf den Boden, wenn wir vorbeigingen, bis hin zur körperlichen Gewalt. Da haben die uns einmal doof angemacht und gefragt ‚Seid ihr schwul?‘ Und dann hab‘ ich gesagt: ‚Ja klar. So, und jetzt?‘ Und dann haben sie noch mal gefragt, und dann sofort angefangen zu schlagen, mit Fäusten ins Gesicht und mich zu Boden geschlagen. Ja, das war das Heftigste, was ich so erlebt habe.“
Benedikt ergänzt: „Diskriminierung ist so ein dehnbarer Begriff. Ab wann fühle ich mich aufgrund der Tatsache, dass ich mit Jens zusammen bin, dass ich einen Mann liebe, diskriminiert? Und im kleinsten Rahmen ist das vielleicht schon der Fall, wenn ich das Gefühl habe, hier in dem Kontext traue ich mich gerade gar nicht von meinem Privatleben zu erzählen. Oder ich fange an, um die Wahrheit herum irgendwas zu konstruieren, aus Angst, dass ich sagen muss, ich lebe mit einem Mann zusammen, dann empfinde ich das manchmal schon als diskriminierend. Mann, andere dürfen das doch auch einfach sagen, frei von der Leber!“
Beinah jeden Tag, sagt Jens, muss man sich irgendwie erklären. Sich Fragen anhören, die scheinbar heterosexuellen Menschen nie gestellt werden. Wer welche Stellung im Bett hat, wer die Frau ist, wer putzt und wer kocht oder so ein Spruch wie „Ich habe ja nichts gegen Schwule, aber ihr seid ganz okay“. „Das zeigt ja schon, dass die eigentlich doch irgendwie ein Problem damit haben und das auch immer thematisieren müssen.“
Wir sind viel sichtbarer als Teil der Gesellschaft
Dennoch: Veränderungen in der Gesellschaft hin zu mehr Toleranz spüren beide deutlich. „Wir haben ziemlich viele Ziele auch aus unserer Community, aus der Bewegung erreicht. Mit der Ehe für alle zum Beispiel. Das war ja ein großer Schritt, wo wir uns lange für eingesetzt haben. Und auch wenn man jetzt Film und Fernsehen anguckt oder Werbung oder so was, da sind die Schwulen nicht immer die, die an Aids sterben oder die ein Riesenproblem haben in der Familie und das ganze Dorf leidet mit, sondern man kann auch schon ganz normale Lebensläufe sich angucken. Und dann ist jemand eben auch mit einem Mann zusammen als Mann oder eine Frau mit einer Frau, dass die Geschichten beiläufig erzählt werden, ohne problemorientiert sein.
Aber sind wir auch willkommen?
Es geht ihnen aber nicht nur darum, sichtbar zu sein als Teil der Gesellschaft, es geht darum, normal zu sein, ein normaler Kunde, ein normaler Kirchenbesucher, ein normales Mitglied des Chores, einfach selbstverständlich mit dabei zu sein. Benedikt sagt, das sei messbar an ganz kleinen Dingen. Zum Beispiel habe der Pfarrer in der Kirche über die Liebe gesprochen, ganz beiläufig, und er habe gesagt, dass es um die Liebe zwischen den Menschen gehe, egal ob Mann und Frau oder Mann und Mann oder Frau und Frau. „Und allein, dass das passiert und vielleicht von 80 Prozent gar nicht registriert wird, entfacht in mir in dem Augenblick unfassbar viel Glückseligkeit, weil ich weiß, dass er mich damit auch willkommen heißt und miteinschließt.“
Und Jens erzählt, dass bei Hochzeiten normalerweise immer eine bestimmte Bibelstelle zitiert werde: „Als Mann und Frau schuf er sie. Er schuf sie als Mann und Frau… Und wir saßen da immer und haben uns angeguckt. ‚So: Ja, okay, dann ist unsere Ehe anscheinend doch nicht so eine richtige Ehe, oder was?‘ Aber ich habe es einmal nur dem Pastor gesagt und er hat das sofort geändert und hat eine andere schöne Stelle gefunden, die er jetzt immer benutzt für diese Liturgie. Das hat kein Mensch gemerkt. Also keinem fehlt irgendwas. Aber wir sitzen da und fühlen uns dadurch akzeptiert und willkommen. Und das ist so einfach, das zu machen. Einfach indem man so Sachen, die eindeutig dagegen sind, weglässt. Im Kirchenchor zum Beispiel sei es sehr angenehm. Dass sie zwei Männer sind, die zusammenwohnen, sei egal. „Die Leute kommen gerne zu uns zu Besuch. Die fragen uns, was wir im Urlaub machen, was wir am Wochenende gemacht haben. Da rümpft keiner die Nase und das ist einfach schön. So dieses Gefühl.“
Wir wollten keine halbe Hochzeit
„Also das was ich am tollsten daran finde ist, dass Sachen, die man so als Kind träumt ‚irgendwann heirate ich mal‘ und so was und auch in der Kirche natürlich, das hat man sich ja immer so vorgestellt, oder? Ich habe mir das zumindest immer so vorgestellt. Aber ganz lange war klar: Das wird ja niemals dazu kommen und du wirst es einfach nicht dürfen. Du wirst niemals denjenigen heiraten dürfen, den du liebst. Und da bin ich sehr dankbar, dass solche Träume plötzlich in Erfüllung gehen können.“
Für beide war sehr wichtig, dass sie „normal“ heiraten dürfen, wie alle anderen Menschen auch. Sie wollten keine halbe Hochzeit, keine eingetragene Lebenspartnerschaft. Sie wollten erst dann heiraten, wenn ihre Ehe vollwertig ist, wenn es keinen Unterschied mehr gibt zwischen der Ehe heterosexueller und homosexueller Menschen. Nachdem sie ihr Haus gekauft hatten, fanden sie heraus, dass in der evangelischen Landeskirche im Rheinland die Ehe schon gleichgestellt ist, nicht als kirchlicher Segen, sondern als ‚echte‘ Trauung. „Und dann haben wir gesagt: Okay, dann gibt es ja schon die vollwertige Ehe.“
Die evangelische Kirchengemeinde hat uns offen empfangen
Benedikt verlässt die katholische Kirche, konvertiert vom Katholizismus zum Protestantismus. „Als für uns klar war, wir wollen die Ehe schließen, war ja klar, dass wir das nicht unter dem Segen der katholischen Kirche machen können. Und da hat uns hier die Kirchengemeinde, mit der Entscheidung, dass hier auch homosexuelle Paare getraut werden dürfen, ja sehr viel offener empfangen. Und für mich war dann auch klar, dass das ein guter Grund ist, zur evangelischen Kirche zu gehen und mich da nicht nur willkommen zu fühlen, sondern auch Teil der Gemeinschaft zu werden und dann auch was mit dort bewegen zu können.“
Weil Bedingung für die kirchliche Hochzeit die eingetragene Lebenspartnerschaft ist, entschließen sie sich dazu. Genau einen Tag nach der Eintragung ihrer Lebenspartnerschaft unterzeichnet der Bundespräsident ein Gesetz, das die ‚Ehe für alle‘ erlaubt. „Das hatte was“, findet Jens. „Und als das dann durch war, haben wir sofort im Standesamt in Erkelenz beantragt, dass wir unsere eingetragene Lebenspartnerschaft in eine echte Ehe umwandeln lassen wollen, was aber nicht so einfach war, weil es keine Formulare gab. Keiner wusste, wie das gehen soll, weil auf den Formularen natürlich immer nur Mann und Frau steht, das musste erst alles geändert werden. In unserem Familien-Stammbuch war das noch Ehemann und Ehefrau. Und da wurde tatsächlich dann auch eingetragen: Geburtsort der Ehefrau: Nordhorn. Und seitdem haben wir den Beweis. Für alle, die immer fragen, wer von uns die Frau ist.“
Jetzt ist offiziell der Weg für die kirchliche Trauung frei. In Absprache mit der Kirchengemeinde dürfen sie den Innenhof ihres Hauses als Ort für die Trauung wählen. Nicht ohne Diskussionen, denn es gibt auch gute Gründe dafür, die Hochzeit in der Kirche zu halten, allein um damit noch einmal ein Zeichen zu setzen: ‚Hier in unserer Kirchengemeinde wird ein Männerpaar getraut‘, aber auch um ganz klar zu zeigen, dass es sich um einen offiziellen Gottesdienst und eine offizielle kirchliche Trauung handelt. „Aber wir waren unheimlich stolz auf diesen Hof und hatten so diese unheimlich romantische Vorstellung, hier zu stehen und uns das Jawort geben zu können, unter dem offenen, freien Himmel.“
Es wäre verrückt, Menschen zu verprellen, die aktiv die Kirche gestalten wollen
Grundsätzlich, sagt Benedikt, ist die evangelische Kirche eine Kirche, in der es möglich ist, frei zu sein, die auch Leute akzeptiert, wie sie sind, unabhängig von Konfession, unabhängig von Sexualität. Das spiele keine Rolle, sei aber natürlich auch abhängig von der jeweiligen Gemeinde und den Personen, die sie prägen. „Der Pastor war ja hier zum Gespräch, und hat mit uns auch darüber gesprochen, warum wir uns kirchlich trauen lassen wollen und so was und hat uns einfach ganz normal behandelt wie ein Brautpaar halt nur ohne Braut. Und dann fühlt man sich natürlich direkt wohl und wahrgenommen. Es gibt aber definitiv in der evangelischen Kirche auch noch viel, viel Widerstände und auch viele konservative Stimmungen und Meinungen.“ Jens erzählt von einem Pfarrer, der noch kürzlich die Homosexuellen mit dem Teufel im Bunde gesehen habe und er betont, dass er natürlich der Kirche den Rücken zukehren würde, wenn er selbst diese Erfahrung machen würde.
Benedikt ergänzt: „Das wäre ja verrückt, Menschen zu verprellen, die aktiv die Kirche gestalten wollen. Wenn man denen einfach sagt, wir haben keinen Bock auf euch, hat man schon mal schlechte Karten als Kirche. Und ich glaube, dass da eine große Chance drinsteckt, wenn man queere Menschen willkommen heißt, weil sie natürlich genauso auf der Suche sind nach Sinn oder nach Gemeinschaft wie andere Leute auch. Und wenn man so denkt, es sind ungefähr 10 % der Bevölkerung, lohnt sich das auf jeden Fall schon mal finanziell allein schon.“
Die beste Hochzeit, die man haben kann
Für Jens und Benedikt bedeuten ihre kirchliche Ehe und auch das Aktivsein in der Gemeinde, in der sie viel Freizeit verbringen und sehr engagiert sind, ein wichtiges Stück Normalität und Freiheit. Und Teil davon war auch ihre kirchliche Hochzeit.
Benedikt erinnert sich gerne an den Trauspruch und an die Predigt. „Und es gab tatsächlich einige unter den anwesenden Gästen, die gesagt haben ‚Ich habe seit Jahren nichts mehr mit Kirche zu tun gehabt, aber ich habe während dieser anderthalb Stunden einige Tränen der Rührung verdrücken müssen, und ich fühlte mich so angesprochen, und es war so schön‘ und so habe ich es auch empfunden und war dann überglücklich zu hören, dass das bei den Gästen genauso angekommen ist. Es gab so Passagen, die unser Pastor ausführte. Und in dem Augenblick zog die Wolke weg und es strahlte auf einmal die Sonne. Oder es ging um den Geist Gottes. Und auf einmal kam so ein Windhauch, der durch den Baum ging. Und es war so, es war so lebendig, Gott war so spürbar plötzlich.“