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Kirche in modern – wie geht das? Gespräch mit der Pfarrerin Judith Uhrmeister

Ich treffe Judith Uhrmeister in Düsseldorf am Museum „K20“. Sie hat den Ort gewählt, weil sie ihn mag und gerne dort arbeitet. Judith ist Pfarrerin, sie ist 39 Jahre alt, verheiratet, mit ihrem dritten Kind schwanger und arbeitet gleichzeitig – Vollzeit – in einer Gemeinde mit 14.500 Mitgliedern, die sie sich mit fünf weiteren PfarrerInnen teilt.

 

Deine Gemeinde ist ja sehr groß. Wie bewältigt man das?

Also ich bin in die Gemeinde gekommen, da haben sich drei Gemeinden fusioniert und zu einer Gemeinde zusammengelegt, weil einfach im Moment immer mehr Leute austreten, so dass die Kirchen zu groß werden, dass wir im Prinzip eigentlich Gebäude verwalten, und wir versucht haben das zu konzentrieren. Das sind vier vollkommen unterschiedliche Stadtteile wo noch so ein bisschen fraglich ist, wie wir das zusammenfusionieren und eigentlich ist in diesem ganzen Prozess deutlich geworden, dass wir uns so ein bisschen verabschieden müssen von der Gemeinde wie man sie vielleicht so kennt, wo man die Kirche nebenan hat und es kuschelig und gemütlich ist, hin zu einer urbanen Gemeinde, wo die Leute eigentlich zu dem Ort kommen wo sie das, was da passiert, gut finden. Und da sind wir so mittendrin.

 

Was macht Deine Arbeit aus, wofür wirst Du gebraucht?

Es ist wahnsinnig vielfältig, es ist nicht eine Tätigkeit, auf die sich das beschränkt, sondern es ist alles was das Leben umfasst, Geburt, Sterben, Heiraten, das sind die klassischen Rituale, die ich gestalte, dann die Wochengestaltung mit dem Sonntagsgottesdienst, und dann alle möglichen Lebensfragen, die so aufkommen. Darum herum hat sich die Institution gebaut und das sind Tätigkeitsbereiche, die es gibt und dann ist jetzt im Moment aber auch ein Punkt, wo nach Corona die Leute sich wirklich abgewöhnt hatten, zu klassischen Formaten zu kommen und wir überlegen müssen, wie erreichen wir die Leute eigentlich anders? Das ist so gerade die Suchbewegung.

 

Inwiefern ist die Corona-Pandemie eine Chance für die Kirche, sich zu verändern?

 Ich glaube es war ein Brandbeschleuniger für die Prozesse, die sowieso laufen müssen. Es ist ja schwierig, sich einzugestehen, ‚Okay, das was wir ganz lange gemacht haben, das funktioniert jetzt so wahrscheinlich nicht mehr die nächsten hundert Jahre. Was machen wir denn eigentlich?‘ Im Prinzip erstmal diese Tatsache, dass Leute austreten, nicht mehr kommen, dass klassische Formate nicht mehr funktionieren, das auch zu akzeptieren, gleichzeitig den Mut und auch die Bewegungskraft und Innovationskraft aufzubringen, Sachen auszuprobieren, von denen man vorher nicht weiß, ob sie funktionieren, in einem Selbstfindungsprozess. Das ist, glaube ich, die große Chance jetzt auch nach Corona.

 

Hast du für Dich Deine Rolle fest umrissen, oder inwiefern ist da auch noch Bewegung oder Suche drin? Wie siehst Du Dich?

 Ich würde sagen, dass es immer fluide ist, dass meine Rolle als Pfarrerin natürlich immer gekennzeichnet ist durch die Institution, in der ich bin, also ich habe einen Auftrag und gleichzeitig ist das Evangelium aber so, dass es immer fragt: „Wer bist du eigentlich? Wer bist du? Wer bist du? Wer bist du?“ und diese Frage ist nie beantwortet, deswegen sehe ich mich in ganz vielen Fällen eigentlich eher als Fragenstellerin und als jemand der Menschen zuhört und einen Raum gibt, sich selbst zu entwickeln und nicht so sehr als eine Person, die ihnen sagen kann, wie die Welt läuft oder wie es geht oder woran sie glauben sollen oder was sie für wahr halten sollen. Ich muss irgendwie versuchen, eigentlich fast wie eine neue Sprache zu finden, oder eine Übersetzung zu finden, wo die Leute dann plötzlich denken „Achso! Okay, das sind ja tatsächlich meine Themen.“

 

Was macht eine moderne Kirche für Dich aus?

 Eine moderne Kirche ist vor allem ehrlich. Sie ist ehrlich zu sich selbst und dann eben auch zu den Leuten, mit denen sie spricht; und gibt klar zu erkennen, dass sie eben auch nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen hat oder dass sie besser weiß, wie das Leben gut ist und richtig ist oder dass sie selber besser wäre, sondern dass sie einfach sagt: „Wir haben hier einen Raum und wir verweisen in die Unendlichkeit und fragen, ‚Was hat das mit Dir zu tun?‘“ Und die allermeisten Leute machen diese Erfahrung ja in ihrem Leben, dass sie sagen „Jetzt komme ich an einen Punkt, weil ich jemanden verloren habe, oder weil ich eine Lebenskrise habe, da kommen Fragen, die kann ich nicht mehr beantworten.“ Und ich kann sie auch nicht beantworten als Kirche, aber ich kann sie stellen und ich kann den Raum geben, darüber zu reden.

 

Was ist die Aufgabe von PfarrerInnen in dieser Modernität? Was müssen die jetzt tun? 

 Wir sind ja immer noch eine Buchreligion und das macht es irgendwie auch so schwierig, weil wir diesen alten Text haben, der in so einem verstaubten Buch ist und so ein bisschen wie in der Vitrine steht und es geht eigentlich darum, ihn wieder zum Leben zu erwecken. Ich muss mich einlassen auf einen Dialog mit einer Geschichte, die mir etwas erzählt über mich. Und das ist das, was ich als Theologin versuchen kann. Also den Leuten was zu zeigen, wo sie jetzt auf Anhieb selber erstmal nicht draufkommen würden.

 

Erzähl mir von Momenten, wo du merkst, es ist gut, dass ich das tue, was ich tue…

Das ist immer, wenn ich irgendwohin komme und auf Menschen treffe, die mir einen wahnsinnigen Vertrauensvorschuss geben, weil ich Pfarrerin bin. Das würden sie nicht machen, wenn sie mich auf der Straße treffen würden. Und dann einfach ihr Leben mit mir teilen und ich helfen kann dabei. Sehr berührend sind Sterbebegleitungen, weil die Leute überhaupt nicht mehr über Tischdeko und die Sonne beim Fest nachdenken, sondern weil sie – egal wo sie herkommen und wieviel Geld sie haben – dann auf dem Boden der Tatsachen stehen, dass das einfach jeden trifft. Und da reingelassen zu werden und zu merken: „Ich muss jetzt einfach da sein, mich einlassen auf die Situation“ und kann dann sowas sein wie eine Stütze für sie, da durchzufinden.

 

Hast Du so etwas wie ein „Markenzeichen“ als Pfarrerin?

Ich würde sagen mein Markenzeichen ist, dass ich nerve mit Fragen. Ich will wissen, wie die Dinge funktionieren und ich will auch wissen, warum es so ist, und was es bedeutet, vor allem. Ich gebe mich nicht so gerne damit zufrieden zu sagen: „Das ist jetzt so und das musst du halt so glauben und Jesus ist halt am Kreuz und Gott ist Liebe und fertig. Aus die Maus.“ Sondern ich würde immer fragen „Was heißt das denn: ‚Gott ist die Liebe.‘?“ Das heißt ja gar nichts, erstmal. Und würde dann weiterfragen, und zwar so lange, bis ein Gespräch entsteht, aus dem dann beide hinterher rausgehen und vielleicht gar nicht sagen können „Gott ist folgendes. Doppelpunkt.“, sondern rausgehen und feststellen, man hatte ein Gespräch, wo Liebe entstanden ist, zum Beispiel.

 

Warum bist du evangelisch?

 Eine evangelische Sache ist, und das wäre auch wirklich der Grund, warum ich evangelisch bin, dass die Kirche nicht von einzelnen Leuten gemacht wird, sondern, dass derjenige, der dazu kommt und Teil der Gemeinschaft werden will, den Unterschied auch macht. Im eigentlichen Sinne ist es so, dass Jesus sagt „Jeder Mensch ist gleich, ich wähle die Leute, die ich an meinen Tisch setze und ihr müsst jetzt mal damit klarkommen. Und Du machst den Unterschied!“ Und daraus ergibt sich eine Gemeinschaft, die, wenn’s gut läuft, größer ist als man selber. Und sich darauf einzulassen, würde ich den Leuten wünschen, die nichts damit zu tun haben und der Kirche selber auch. Dass die manchmal ein bisschen mutiger ist zu sagen „Jetzt glauben wir uns selbst, jetzt machen wir unsere Türe auf und gucken mal, wie weit uns die Leute verändern, die dazu kommen.“

 

 

                                                                                                          Das Interview führte Sarah Nellen

Kirche in modern – wie geht das? Gespräch mit der Pfarrerin Judith Uhrmeister