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Wiedereintritt nach 35 Jahren – Warum? Interview mit einem „kritischen Geist“

Wiedereintritt nach 35 Jahren – Warum? Interview mit einem „kritischen Geist“.

Dagmar Wienke ist 56 Jahre alt, sie ist Journalistin und lebt in Düsseldorf. Sie erzählt, warum sie nach 35 Jahren „Nicht-Mitgliedschaft“ wieder in die Kirche eingetreten ist.

Frau Wienke, bitte beschreiben Sie Ihr Verhältnis zur Kirche.

Ich glaube ich habe ein sehr lebhaftes, sehr wechselhaftes Verhältnis zur Kirche.

Als Kind bin ich teilweise als einzige aus der Familie immer in den Kindergottesdienst gegangen. Mich haben die Geschichten aus der Bibel total fasziniert, das war auch mein allererster Berufswunsch, ich wollte Pfarrerin werden, weil wir eine tolle Pfarrerin hatten, die so schöne Geschichten erzählt hat. Mein Berufswunsch war Geschichtenerzählerin. Also ich wollte das machen, was sie macht. Ich bin konfirmiert worden, gleichzeitig bin ich aber auch ein sehr kritischer Geist und als ich dann aus der Grundschule aufs Gymnasium kam, war der erste Zweifel da: wir wurden angelogen, das mit Adam und Eva konnte nicht stimmen, denn die hätten ja Neandertaler sein müssen, das wurde uns aber nicht erzählt in der Kirche. Da war ich sehr enttäuscht, dass ich belogen wurde, ich hatte aber weiterhin Religion in der Schule als Unterrichtsfach, hab sogar Abitur gemacht in Religion. Wir hatten eine ganz tolle Religionslehrerin und ich wurde immer von meinen Mitschülern „die Kritikerin“ genannt, weil ich immer kritische Fragen gestellt hab, ich hinterfrage immer alles, und wie das so kam, als kritischer Geist, bin ich dann mit 20 – glaub‘ ich – ausgetreten. Das war eine sehr bewusste Entscheidung, Kirche war für mich ein Mischmasch. Jesus, das Leben von Jesus, war für mich immer noch ein Vorbild, ich hab‘ das aber nicht zusammenbekommen – ich habe die Kirche gesehen mit ihren Machtstrukturen, das hatte ich sehr kritisiert und das war für mich nicht vereinbar mit dem, was Jesus vorgelebt hat. So bin ich dann ausgetreten, war dann nicht mehr Mitglied in einer Kirche, was aber nichts an meiner Einstellung zu Religion, zur Bibel, zu Jesus Leben geändert hat.

Sie sind 2021 wieder in die evangelische Kirche eingetreten. Wie erinnern Sie sich an den Wiedereintritt?

Ich war schon sehr aufgeregt, ich hatte ein paar Wochen drüber geschlafen:  soll ich den Schritt machen oder nicht, was heißt das für mich, kann ich es hundertprozentig vertreten? Das ist ja etwas ganz anderes, wenn man geboren wird, wird man automatisch getauft und nicht danach gefragt, man ist dann einfach entweder katholisch oder evangelisch oder was auch immer. Und das war dann schon eine sehr bewusste Entscheidung: Ich trete jetzt ein. Hier in Düsseldorf wird es einem einfach gemacht. In der Johanneskirche kann man einfach ins Café gehen, kann sagen „Ich möchte wieder eintreten“ und wenn der Pfarrer oder die Pfarrerin da sind, dann führen sie ein Gespräch mit einem. Das war sehr entspannt, ich bin dahin, hab mein Anliegen vorgebracht – „ja Moment, setzen Sie sich mal hin“ –  und dann kam der Pfarrer Dr. Vetter. Ich war natürlich schon nervös: werde ich jetzt ausgehorcht, ist das jetzt ein Bewerbungsgespräch, bin ich würdig genug wieder aufgenommen zu werden? Der Pfarrer hat mir alle Ängste genommen, es war ein entspanntes und interessantes Gespräch. Er hat mich gefragt, warum ich ausgetreten bin und warum ich wieder eintreten möchte. Was ich auch sehr angenehm fand: Kein Papierkram! Er hat einen Zettel geholt: „Ja, ich schick das an Ihre Gemeinde und das läuft dann alles.“  Und damit war ich dann wieder eingetreten.

Das war für mich so: „Huch, jetzt hab ich‘s gemacht.“ Das war sehr aufregend. Und dann noch mal: „War das richtig?“ Es fühlte sich aber gut an und was ich sehr angenehm fand: Herr Dr. Vetter hat mir das Gefühl vermittelt, es sind keine Zwänge da, ich bin herzlich eingeladen. Ich habe mich sehr angenommen gefühlt in eine Gemeinschaft. Ich kann jetzt kommen, ich muss nicht in den Gottesdienst gehen, ich muss gar nichts, sondern bin jetzt einfach da, die Gemeinde ist einfach da und ich kann meine Religion so leben wie ich will, kann mir die Gemeinde aussuchen. Und das war für mich ein Gefühl: Ja, hier bin ich richtig, hier gibt es keine Zwänge. Hier darf ich so sein, wie ich bin und hier darf ich meine Spiritualität leben, wie ich will und das fand ich das Schönste daran.

Was war Ihre Motivation für den Wiedereintritt?

Ich hab‘ durch die Pandemie schätzen gelernt wie wertvoll eine Gemeinschaft ist, das war auch im Sportverein so. Meine Sportfreunde sind mir viel viel näher gerückt, das hat mir sehr viel Halt gegeben, diese Gemeinschaft. Ich hatte im letzten Jahr zeitweise auch für die Kirche gearbeitet, und ich habe die Kirche dann auch kennen gelernt, die Menschen dahinter, was die Kirche macht, wieviel Gutes, wie offene, tolerante Menschen dort arbeiten. Und ich habe festgestellt: Hey, die Kirche vertritt ja meine Werte! Für mich war das dann eine Entscheidung. Man hat mittlerweile so viele Abo-Modelle, für mich war dann auch ganz wichtig, wieder Steuern zu zahlen und meinen Beitrag leisten, um die Arbeit der Kirche zu unterstützen. Wie gesagt, ich muss nichts, ich darf alles, aber ich leiste ganz bewusst meinen Beitrag, um diese wertvolle Arbeit für die Gesellschaft zu unterstützen.

Wie hat sich Ihr Bild von der Evangelischen Kirche geändert?

Als erstes die Werte, die gelebt werden, die Toleranz, ich glaube das macht die Evangelische Kirche aus, Offenheit und Toleranz. Es ist auch das, was ich vermisst habe: eine ganz offene Gemeinschaft, die vollkommen tolerant ist, wo ich sein darf wie ich bin – das merke ich, dass ich das vermisst habe.

Das ist das Arbeiten im Hintergrund auch für unsere Gesellschaft. Ich finde es für unsere Gesellschaft in Deutschland ganz wertvolle Arbeit, die geleistet wird, das soziale Engagement und dass man aufgefangen wird. Also wenn ich Krisensituationen habe – ich glaube das wissen die Wenigsten und sie nehmen das auch nicht wahr – wenn ich in einer Lebenskrise bin, habe ich immer Ansprechpartner, die einfach Profis darin sind, mich in dieser Lebenskrise aufzufangen. Also ich muss nicht immer zum Psychiater gehen, ich habe dort Ansprechpartner, die mich auffangen können. Und das wissen die Wenigsten, dass es dort Menschen gibt, die immer für einen da sind.

Ich habe festgestellt, dass tatsächlich die Evangelische Kirche sehr viel im Hintergrund macht, sie ist sehr unsichtbar, das finde ich sehr schade. Ich glaube die Kritik, wenn Leute alles in einen Topf schmeissen und immer davon reden „die Kirche“, dann ist das oft eine unberechtigte Kritik. Kirche hat in den meisten Köpfen der Menschen etwas Altbackenes, Angestaubtes, irgendwas mit alten schnarchigen Traditionen verhaftet, aber so ist die Kirche nicht, das finde ich schade, es wäre schön, wenn viele Menschen doch nochmal sich der Kirche annähern könnten, einfach nur mal neugierig gucken könnten.

Gab es besonders eindrückliche oder überraschende Erlebnisse nach Ihrem Wiedereintritt?

Ich habe durch meine Arbeit in Düsseldorf einen Seelsorger und Pfarrer kennengelernt, den Peter Krogull, er frönt der gleichen Leidenschaft wie ich: dem Laufen. Er macht einmal im Monat „Soulsearching“, einen Lauftreff, man kann dort ganz locker mit ihm und anderen Menschen eine Runde hier in Düsseldorf drehen und über Gott und die Welt reden. Das ist das gleiche, was ich auch in meinem Sportverein erlebe: Ich hab eine Gemeinschaft mit Leuten, wir reden über Gott und die Welt, wir stärken uns. Das ist das gleiche was er macht, was die Kirche gibt.

Dann könnte ich ja auch zum Sportverein gehen? Was kann der Sportverein nicht, was kann nur die Kirche?

Ich hab dort auch Ansprechpartner, wo ich mein Seelenleben ausschütten kann. Es sind ja Profis für die Seele. Ja, Freunde können einen auch auffangen, aber er ist ja dann auch ein Unbeteiligter, er ist jemand der Abstand hat.

Was mir noch einfällt, in Düsseldorf gibt es auch regelmäßig von Haru Specks einmal im Monat in Bilk in der Kirche einen Musikabend. Dort stellt Haru Specks Platten aus seiner Plattensammlung vor, er hat 14.000 Platten, und ein unglaubliches Musikrepertoire. Man bekommt Musik zu hören, Indiemusik, die schrägsten Sachen, es ist eine totale Bereicherung für Musikliebhaber seinen Plattenvorträgen zuzuhören. Und das ganze findet in einer Kirche statt, auf einem Sofa, der Kirchenraum ist vorne leergeräumt, kann mich auf dem Sofa fläzen, bei einer leckeren Flasche Bier und es ist auch wieder eine schöne Gemeinschaft mit Musikliebhabern.

Warum gerade die Rückkehr zur christlichen Religion? Hätte es auch eine andere Religion sein können?

Ich habe mich im Laufe meines Lebens mit vielen Religionen auseinandergesetzt. Nachdem ich ausgetreten war, war ich auch auf der Suche und ich habe festgestellt: alle Religionen haben den gleichen Kern. Es geht um allumfassende Liebe, es geht um das Unaussprechliche, es geht um ‚Frieden in sich finden‘, ‚Nächstenliebe leben‘, darum geht’s glaube ich bei allen Religionen. Im Buddhismus, im Islam gibt es das alles, und ich habe festgestellt: Ja, in unserer christlichen Kirche gibt es das auch. Es wird dort alles gelebt, was ich eigentlich gesucht habe, also warum in die Ferne schweifen? Das ist meine Kultur, natürlich kann ich auch buddhistisch leben, aber das was ich dort suche, finde ich tatsächlich auch in der christlichen Kirche.

Was würden Sie einer Person sagen, die über einen Wiedereintritt nachdenkt?

Man hat ja nichts zu verlieren. Ich kann ja einfach mal hingehen, mal gucken, mal reinschnuppern und wenn es ein Jahr dauert oder zwei Jahre. Man muss nichts machen, man muss nicht eintreten, man kann gucken, wie sind die Leute drauf, ticken sie so wie ich?  So wie ich die Evangelische Kirche erfahren habe, ist sie offen für jeden.

Das Interview führte Sarah Nellen

Wiedereintritt nach 35 Jahren – Warum? Interview mit einem „kritischen Geist“