„Musik bedeutet Harmonie – eine Gemeinschaft ohne Harmonie gibt es nicht“
Bevor es an die Kirchenorgel geht, erstmal: Schuhe aus. Denn nur mit Socken bekleidet sind die Füße sensibler für die Pedale. Luis Andrés Castellanos Jiménez ist eigentlich hauptberuflich Pianist. Normalerweise sitzt er auf der Bühne am Flügel, wenn er Konzerte gibt. Die Rolle des Organisten ist für ihn noch ungewohnt, erst seit wenigen Monaten nimmt er in der evangelischen Kirche in Schwanenberg sonntags auf der Orgelempore Platz. Luis ist 36 Jahre alt, er ist studierter Musiker und stammt ursprünglich aus Kolumbien.
„Als Kirchenmusiker ist man im Hintergrund, …, wenn ich spiele, ist die Kirche vom Klang erfüllt, aber ich spiele keine Hauptrolle, die Hauptrolle spielen Gott und die Menschen, die kommen, um etwas mitzunehmen, was ihnen der Pfarrer mitgibt.“
Luis beschreibt den Gottesdienst als eine kleine Auszeit, anderthalb Stunden Ruhe und Zeit zum Nachdenken; Zeit, um auf andere Gedanken zu kommen. „Manchmal trägt man eine Frage mit sich herum, und hört die Antwort darauf im Gottesdienst.“
Nur die Musik kann das Herz anrühren
Die Musik komme hinzu, um die Dinge zu sagen, die man mit Sprache nicht sagen kann. Nur die Musik könne das Herz anrühren und deshalb nehme man umso mehr aus dem Gottesdienst mit, wenn er von Musik begleitet sei. Das sei das Schönste am Musizieren, „dass man, ohne sich zu kennen, einander auf intime Art und Weise begegnet, dass die Musik tief ins Herz dringt und es nicht mehr verlässt. Auch nach langer Zeit kann man sich an eine Melodie erinnern und vergisst sie nicht mehr.“
Luis freut sich immer wieder darüber, wie gerne die Menschen im Gottesdienst mitsingen, und er erinnert sich an die lange Zeit der Pandemie, als das Singen nicht erlaubt war, wie traurig das für viele war und er spürt, dass sie nach der langen Zwangspause umso lieber mitsingen.
Jedes Mal alles geben, nichts für sich behalten
Das gilt genauso für den Schwanenberger Kirchenchor, den er leitet. Mit ihm ist Luis seit Jahren musikalisch und emotional verbunden. An der Musikhochschule in Aachen sah er irgendwann zufällig den Aushang des Chores, der auf der Suche nach einem neuen Leiter war. Er bewarb sich und bekam die Stelle sofort. „Ich bin nur der Clown, der hier vorne steht, ihr seid diejenigen, die den Klang hervorbringen“. In den Proben legt Luis viel Wert auf den Zusammenklang, das „Aufeinanderachten“ und „Einanderhören“. Und immer wieder die Emotion: den Liedtext nicht nur zu verstehen, sondern ihn zu erfühlen. Hineinschlüpfen in das Stück wie in eine Rolle auf dem Theater. Um den Klang, den Luis selbst längst im Ohr hat, auch dem Chor zu entlocken, findet er immer wieder überraschende Vergleiche. „Takt 36 bis 39: An dieser Stelle seid ihr neidisch auf den Hamburger eures Nachbarn, ihr wollt ihn haben, ihr wollt ihn selbst essen!“ Ein Lacherfolg, die Stimmung im Chor ist ausgelassen. Und beim zweiten Durchgang klingen Takt 36 bis 39 schon völlig anders. Die besondere Gabe und die Handschrift von Luis, der sagt: „Egal bei welchem Anlass und vor welchem Publikum, vor wem auch immer, man sollte sich als Musiker immer bewusst sein, jedes Mal alles geben, nichts für sich behalten, was Emotionen angeht, egal ob großes Konzert, Familienfeier oder Gottesdienst, immer alles Herzblut geben, so dass die Emotion übertragen wird auf alle Anwesenden.“
Luis ist bewegt, als er vom ersten Auftritt des Chores nach der langen erzwungenen Pandemiepause erzählt. „Es war ein Lied, das wir zuvor sehr intensiv geübt hatten, auch über Videomeetings, aber per Video wird die Emotion nicht so übertragen wie man es sich wünscht. Beim Auftritt das Gefühl, es war einmalig, es war unglaublich, welche Energie der Chor entfesselt hat, auch die Menschen in der Kirche waren überrascht, wie gut der Chor gesungen hat und wie emotional dieser Moment war.“