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Ender war plötzlich obdachlos

Ich treffe Ender D. in einem Park in Düsseldorf. Ein gepflegter Mann mittleren Alters. Nichts deutet darauf hin, dass Ender einmal obdachlos war.

Er beginnt zu erzählen. Von seiner ehemaligen Partnerin, die er immer noch sehr liebe, von seinen Söhnen, denen er bisher nicht gewagt habe von seiner Wohnungslosigkeit zu erzählen. Enders Misere beginnt mit der Trennung von seiner Frau, über die er auch nach acht Jahren nicht hinwegkommt. „Wenn ich nachts aufwache, suche ich sie.“ sagt er. Die Trennung erwischt ihn eiskalt, zieht ihm den Boden unter den Füßen weg. In einem Gerichtsverfahren wird ihm die gemeinsame Wohnung zugesprochen, obwohl er das nicht will. Die Wohnung ist ihm zu groß und zu teuer. Er findet eine 1,5-Zimmer-Wohnung, kann aber die Kaution dafür nicht aufbringen, weil er die alte Wohnung zeitgleich finanzieren muss. Er bekommt eine Bürgschaft vom Arbeitsamt und soll die Kaution in Raten abtragen. Die beiden Söhne leben laut Gerichtsentscheid zur Hälfte bei der Mutter und zur Hälfte bei ihm. Wenn die Söhne bei ihm sind, will er ihnen imponieren. Durch teure Ausflüge, teure Geschenke. Ender macht Schulden. Immer mehr. Irgendwann ist er mit zwei Mieten im Rückstand. Rechnungen und ähnliche Post öffnet er nicht mehr. Er ist nicht mehr realistisch, er glaubt nicht ernsthaft, dass ihm aufgrund seiner Schulden große Nachteile entstehen können. Doch der Gerichtsbeschluss zur Zwangsräumung steht längst fest.

An einem Montagmorgen im Juni um 7 Uhr hört Ender den Bohrer, der das Schloss seiner Wohnungstür zerstört. Ender ist geschockt. Er weint. Nicht einen Augenblick denkt er daran, dass er jetzt auf der Straße steht. Er denkt nur an seine Jungs. „Wo sollen die Kinder hin?“ Der Gerichtsvollzieher rät ihm, so viele Sachen mitzunehmen wie nur irgend möglich und den Rest irgendwo einzulagern. Ender nimmt sein Fahrrad mit Anhänger und packt alles, was er nehmen kann. Er kommt in einer Notunterkunft unter.

Er will diese Situation so schnell wie möglich beenden, greift nach jedem Strohhalm. Doch mit dem Moment der Obdachlosigkeit, sagt er, habe er gleich weniger Freunde gehabt. Er fühlt sich traurig, schwer und leer.

Der wichtigste Anlaufpunkt für Ender wird das Café Horizont. Das Café ist eine Fachberatungsstelle der Diakonie Düsseldorf. Dort können Wohnungslose wie Ender sich tagsüber aufhalten. Ender sagt, er finde dort immer ein offenes Ohr und Unterstützung in jeglicher Form. Die Menschen dort, sagt er, tun ihre Arbeit aus Überzeugung und mit viel Herzblut. Und das Beste, sagt Ender, sei, dass man dort verstanden werde und dass einem ein Weg gezeigt werde aus der vermeintlichen Ausweglosigkeit. Dass er als Moslem in einer evangelischen Einrichtung verkehrt, findet er nicht merkwürdig. Er sagt, es gebe ohnehin nur einen Gott und wie der heiße, das sei ihm nicht wichtig.

Was er nicht verstehen kann, ist die verächtliche Haltung mancher Menschen den Wohnungslosen gegenüber. „Die tun einem ja nichts.“ Wenn es Einrichtungen wie die Diakonie oder das Café Horizont nicht gäbe, er möchte nicht wissen, wie die Welt dann aussähe. „Jeder Obdachlose hat jeden Tag nicht nur eine Sorge.“ Die wenigen Habseligkeiten die sie hätten, müssten sie verteidigen, genauso wie ihren Schlafplatz. Wenn Anwohner sich durch das Lager eines Obdachlosen gestört fühlten, dann werde es vom Ordnungsamt entfernt. „Dagegen kann sich ein Obdachloser nicht wehren.“

Mit seinen Kindern trifft er sich seit Jahren nur draußen. Wenn sie ihn fragen: „Papa, wann schlafen wir wieder bei dir?“ dann tut ihm das sehr weh, denn noch immer kann er ihnen kein eigenes Zuhause bieten. Er sagt ihnen, er wohne bei einem Freund oder bei Bekannten. Jeden Cent dreht er zweimal um, nur ihm ihnen etwas Kleines schenken zu können. Das ist seine Art, ihnen seine Liebe zu zeigen. In den fünf Jahren seit dem Verlust der Wohnung hätte er sich viel mehr Nähe mit seinen Kindern gewünscht, aber das ließ seine Situation nicht zu.

Mittlerweile arbeitet Ender im Café Horizont. Er liebt die Arbeit dort. Er liebt es, anderen Menschen helfen zu können und die Hilfe, die er erfahren hat, weitergeben zu können. Und er fühlt sich zu Dank verpflichtet. Für all die Aufmerksamkeit, Liebe und Fürsorge, die er selbst erfahren hat. Denn er weiß, wie schnell es passieren kann, dass man selbst „auf der anderen Seite“ steht.

Ender war plötzlich obdachlos